Fine art pigment print on premium photo luster paper, series of 366 works, each 48,3 × 32,9 cm (A3+).
Edition of 5 + 3AP, one edition include 366 works from the series.
Im Rahmen der für die Ausstellung in São Paulo entwicklten Werkserie ALL THE WO/MEN I AM wurden hunderte Dattelkerne in einem wissenschaftlich-methodischen Ansatz im jeweils genau gleichen Setting ohne Schattenwurf abgelichtet. Diese vermeintliche Gleichheit macht die gleichzeitige Individualität in Form, Farbe und Oberfläche jedoch umso deutlicher. Die Entstehung der Arbeiten ist auch eng verknüpft mit dem Performativen, da die Künstlerin über einen Zeitraum von zwei Jahren die Datteln gegessen und deren Kerne gesammelt hat. Vermeintlich unscheinbare Objekte sowie Alltagsgegenstände sind in den Arbeiten von Song Jing immer wieder Ausdrucksträger bzw. Projektionsflächen. Die von ihr entwickelte Methode einer psycho-archäologischen künstlerischen Erkundung geht davon aus, dass Emotionen nicht auf menschliches Erleben und Verhalten beschränkt sind, sondern auch Gegenstände „beseelen.“ Das jeweilige Objekt, das täglich benutzt, berührt oder gegessen wird, wird durch die künstlerische Transformation zum Träger von inneren emotionalen Topographien, deren Echo wiederum nach außen wirken soll.
Alltagsobjekte und individuelles Erleben wird hier zudem in einen größeren gesellschaftlichen Kontext gestellt. Die Serie ALL THE WO/MEN I AM greift die Fragen nach Identität bzw. Rollenbildern auf und widmet sich dabei den je zugeschriebenen Erwartungen und Repräsentationen von biologischer, sozialer oder sexueller Identität. Die Assoziation der abstrahierten Form der Dattelkerne mit dem weiblichen Geschlecht thematisiert die Repräsentationsmuster von Gendercodes. In vielen Kulturkreisen existieren Repräsentationen von weiblichen Figuren bzw. Göttinnen mit expliziter Darstellung der Vulva, deren genaue rituelle oder kultische Bedeutung nicht mehr bekannt ist. Diese Geschichte des Vergessens im Bedeutungsfeld des weiblichen Körpers und der daraus resultierende Mangel an positivem Wissen führte dazu, dass das weibliche Geschlecht nur schamhaft und oftmals mit negativen Zuschreibungen dargestellt wurde. Die in diesem Projekt vorgenommene vielfache Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts verweist auch auf verloren gegangene positive Bedeutungen. Denn die Darstellung des weiblichen Geschlechts und damit einhergehend eine zu erfüllende Ästhetik ist nach wie vor vom bestimmenden männlichen Blick geprägt. Wie schon Laura Mulvey in ihrem wichtigen Essay „Visual Pleasure and Narrative Cinema“ (1975) beschrieb, besteht (nach wie vor) eine Verbindung zwischen Befriedigung der visuellen Lust und einer repressiven, männlich geformten und dominierten sozialen Struktur, die die Ästhetik des weiblichen Körpers sowie die zugeschriebenen Rollenbilder definiert. „Der bestimmende männliche Blick projiziert seine Phantasie auf die weibliche Gestalt, die dementsprechend geformt wird.“ (Laura Mulvey). Am Ende des 2. Jahrzehnts im 21. Jahrhundert boomen „Schönheitsoperationen“ für den weiblichen Intimbereich, dessen vorgeschriebene Art des Betrachtet-werdens mittlerweile durch meist männliche Pornofilmemacher definiert wird – ein Umstand, der auf die Zeitlosigkeit und gleichzeitige Aktualität dieser sozialen und individuellen Problemstellung verweist.
CREDITS:
Installation view (Solo exhibition ALL THE WO/MEN I AM), Bildraum 07 (Vienna, Austria 2019) © Eva Kelety
ALL THE WO/MEN I AM 1–100 of the 366 works/edition © Song Jing
ABOUT THIS WORK:
A reflection by Ana Magalhães